Es macht wohl wenig Sinn, darüber nachzudenken, warum es soviele
Menschen zum Meer hinzieht.
Die bessere Frage ist vielleicht: wann sehen wir es wieder?
R.B.
La mer
Balladen von Küste und Meer
Inhalt:
Am Meer sitzen
Strandszenen
Josef
La mer
Spätsommer am Meer
Hafenstadt im Regen
Das Wirtshaus am Meer
Was nie wird
Der Zauberer
Komm nicht näher
Auf Sand
Vertraut
Der Stein
Am Meer sitzen
Kein Licht flirrt in der klaren Nacht.
Doch – dort vom Hafen her
steht noch eins auf stummer Wacht,
als hielt es tapfer irgendwer.
So sitze ich zu später Stunde
am leeren, langen Strand.
Ich ging so gern und weit die Runde
wie einst durch stilles Land.
Die Beine sind zu alt und müd,
nach einundachtzig Jahren.
Auch wenn es mich oft hierher zieht,
lass ich sie manchmal klaglos fahren:
die große Sehnsucht,
ohne mich.
Schaff ich es doch. Und es ist Tag,
seh letzte Nebelschleier fliehen
und weisse Wolken kommen;
ein Kind im Sand, das spielen mag,
oder Grimmassen ziehen -
hell lachend, ohne jede List:
dann ist es gut so, wie es ist.
© Ralph Bruse
Strandszenen
In der Bar, mit Blick zur See,
saß ein Mann vor schwarzem Tee,
gebeugt, hinter ein Zeitungsblatt.
Die Zeitung sank; er schaute raus;
zog seine Stirn ein wenig kraus;
atmete tief, als wär er matt.
Am Haff, die Dame mit dem Hut,
ging hin, wie es sonst keine tut:
in gelassener Eleganz.
Ihr Kleid: es wehte auf und nieder.
Nur ihren Hut rückte sie wieder
gelegentlich zurecht, im Wind.
Im Dünengras, das Liebespaar,
das gerade noch schwimmen war:
es spürte weder Zeit, noch Raum.
Es spürte einzig sich - entrissen
von langen, zarten Zungenküssen:
wie zwei im wahrsten Seelentanz.
Schreiende Kinder vorn, am Strand,
schnappten sich reichlich nassen Sand
und modderten sich fröhlich ein.
Der Mann im Pub, mit Blick zur See,
zahlte auch den Rum im Tee.
Dann ging er vor, in Richtung Hafen.
Der Abend holt die Sonne fort.
Die Dame mit dem Hut saß dort,
auf einer Bank - und schien zu schlafen.
Der Mann im Hafen setzte sich,
ins gelbliche Laternenlicht -
zu ihr, mit Lächeln im Gesicht.
Rein nichts geschah:
Er wachte
und die
Fremde
schlief.
(c) Ralph Bruse
Josef
Er steht vor seiner kleinen Kate,
in hellstem Licht, zur Vordertür -
zieht vielleicht den Tag zu Rate.
Vielleicht steht er auch nur so hier.
Die Sonne wärmt ihn wunderbar.
Er möcht´ am liebsten bleiben.
Vom Meer, der Wind, zerzaust sein Haar.
Der kann ihn nicht vertreiben.
Josef steht schon lange dort.
Da will er auch vergehen.
Kennt ein paar Leute in dem Ort,
die ihn meist nicht verstehen.
Sei´s drum: er macht die Augen zu -
den Sommer tief im Sinn...
Vernimmt vom Stall ein dumpfes Muuh.
Höchst ungern stapft er schließlich hin.
> Na gut, ihr lahmen Nervensägen, <
murrt er in sich hinein.
> Ihr kommt mir wirklich ungelegen.
Ich will mal trotzdem nicht so sein. <
*
Auch später sieht man Josef dann
durchwärmt vor seiner Türe stehen.
Von Rosi träumend, irgendwann,
die oft draußen mit ihm stand,
in lauem Sommerwehen.
(c) Ralph Bruse
La mer
Als der späte Sommer ging
kamst nur du hierher.
Oft sich nun dein Blick verfing
an Land und auf dem Meer.
War zu still in jenen Tagen
und in trüber Geisternacht.
Hörst im Rauch ein leises Klagen -
hörst dich reden, sacht.
Jeder Schritt auf Sand und Stein
holt mehr Klarheit fort.
Wirst wohl gottverlassen sein,
so düster wirkt der Ort.
Du hast dein Traurigsein verflucht
und nicht das Licht gesehn-
hast zu tief nach dir gesucht
durch das Abendwehn.
Kühle Brise wischt dir wieder
über müde Augenlider,
haucht aus Schwärze Licht für Licht.
Doch du siehst es nicht.
Worte & Foto: (c) Ralph Bruse
Spätsommer am Meer
Der laue Tag erzittert leicht.
Eine kühle Brise streicht
vom Horizont ins Land.
Hier - die große Meeresbucht
raunt es schon in jede Flucht:
nun wird es langsam Zeit.
Die Badenden sind auch längst fort.
Nur zwei Kinder laufen dort
vergnüglich noch auf Sand.
Sie haben Zeit und sich vergessen.
Wer kann jenes Glück ermessen,
das die Beiden wiegt?
Schon sinkt der Tag ins letzte Licht.
Doch so ganz kommt Schwärze nicht,
denn da brennt ein Feuer.
Und am Lagerfeuer sitzt
ein Junge, der im Sande ritzt:
sein Herz, vom Pfeil durchbohrt.
Wird sicher für das Mädchen sein,
das dann schlief bei Flammenschein
und in seinem Schoß.
Gedicht und Bild: (c) Ralph Bruse
Hafenstadt im Regen
Regen hat das Licht verschlungen.
Drängend kommt schon Nacht heran.
Auf dem Parkplatz lärmen Jungen,
küssen Mädchen dann und wann.
Sieh - die klein'ren Kinder springen
munter noch in Riesenpfützen!
Und im Bürgersaal - da singen
Männer mit Matrosenmützen
Seefahrtslieder,
immer wieder.
Am Markt, die gold´ne Wasserkunst,
wankt in filigranem Dunst.
Und vis a´ vis, der ´Alte Schwede´
schluckt Leute, Lachen, Qualm, Gerede.
Drängend legt sich Stille weit.
Tritt herein zur Dunkelheit.
Taue knirschen.
Durch das Dunkel
bricht sich schemenhaft Gefunkel.
Und die eine Hafenlampe
zittert tapfer vor der Rampe.
Da, am Kutter, brennt noch Licht.
Wer werkelt dort so spät?
Du siehst noch flüchtig ein Gesicht
und jemanden, der geht.
Dann sind Nacht und Meer allein -
und am Kai
in blassem Schein -
die stumme Meerjungfrau
aus Stein.
Grafik: unbekannter Zeichner
Worte: (c) Ralph Bruse
Das Wirtshaus am Meer
Wenn ich an gestern Abend denke,
dann schaudert es mich sonderbar...
Ich kam in jene düstre Schenke,
wo in Wahrheit niemand war.
Dennoch war ich mir ganz sicher....
Der Ort war abseits aller Straßen.
Der Wind vom Meer blies stramm und kalt.
Und an verschmierten Fenstern saßen
reglose Gestalten - jung und alt.
So trat ich ein...
Kein Wirt, der fragt, wo käm ich her?
Niemand nimmt sich meiner an.
Daß ich ein Ruhebett begehr,
sag ich, so laut ich kann.
Doch offenbar hört mich hier drinnen
keine der Gestalten.
Also schrei ich wie von Sinnen
sie alle an -
die Jungen und die Alten;
zur Linken, jenes eine Kind.
Still.
Kein Mucks von Maus und Mann.
Und draußen tobt der Wind.
Plötzlich kracht die schwere Tür.
Ein Mann tritt polternd ein.
Als ich die Hand zum Gruß berühr',
ist mir, als sei sie Stein -
hart und kalt,
wie Rohbasalt,
und ohne Menschenblut.
Schnaufend setzt er sich zu Tisch,
starrt mich lange seltsam an.
Geruch von saurem Billigwein
mischt sich mit dem von faulem Fisch.
Wohl ein versoff'ner Wandersmann.
Ach, was weiß denn ich...!
Weiß nur, daß ich zittrig werde.
Im Öllicht sitzt - halb Mensch, halb Tier...
Der Mann von vorher hebt sein Kinn -
spricht lautlos beinahe zu mir:
Siehst du all die armen Seelen,
die keine Ruhe finden?
Sieh - die stumm geword'nen Kehlen;
und jene, ohne Sünden.
Sie alle fanden einst hierher.
Hör nur, ihre stillen Klagen...
Nun stehst auch du am grauen Meer
und hörst dich einsam sagen:
Gebt mir ein Bett - nur für die Nacht...
Nein, mein Freund, so geht das nicht;
denn wenn der Morgen erst erwacht,
erlischt hier Haus und jedes Licht.
Am Tag wirst du hier garnichts sehn.
Du hast dein Kommen nicht bedacht,
und: nein, du kannst nicht einfach gehn...
Und ob ich kann!, schrie ich und floh.
Warf Mann und sieben Stühle um.
Das Kind im Eck gegriffen.
Türe auf.
Ins Freie, los!
In den Wind.
Mit dem Kind.
Weitab vom Meer - im Marschenland,
ließ man uns ins sich're Haus.
Ich schlief erschöpft und Hand in Hand
an des Kindes Seite ein.
Mit dem ersten Morgenlicht
wurde mir der Atem schwer,
denn nach Erwachen,
leisem Lachen,
spür ich die Hand des Kindes nicht -
die meine, die ist leer.
2.
Heute suche ich, und morgen
in hellstem Licht das Haus am Meer.
Ledig aller and´rer Sorgen,
treiben Stürme mich umher -
hierhin, dahin, immerfort,
nur nicht zum gesuchten Ort.
Immer fort....
Ballade und Bild: (c) Ralph Bruse
Das Wirtshaus am Meer ist vertont auch unter
´selbstgesprochene Gedichte´ zu hören.
Was nie wird
Fern, so fern, die Insel Rügen...
Da wollten sie nur einmal hin.
Stunden würden schon genügen:
alle Sorgen aus dem Sinn -
nah der Brandung, fern dem Morgen,
Joschi nah bei ihr, im Sand.
Säuselnd in der Nacht geborgen
und sie zwei allein am Strand.
Ach, Joschi...
Als wackle sie im schwachen Wind,
so steht sie seufzend hier.
Beugt sich schließlich zu dem Kind
und säubert dessen Kuscheltier.
Der Winter, hier, war hart und gründlich.
Die Kreuze sind verwittert.
Doch jetzt scheint Sonne.
Täglich. Stündlich kommen Leute,
viele traurig und verbittert.
Joschis´ Kreuz steht erst seit Wochen.
Dünn, lackiert. Aus Fichtenholz.
Wird sie darauf angesprochen,
schweigt sie,
weint nie.
Erst viel später,
zuhaus,
gebrochen aller Stolz -
weint sie, so laut sie kann!
Heute harkt sie dürres Laub.
Morgen kommt sie wieder.
Knickt ein Kreuz in Sturm und Staub,
beugt sie sich zu ihm nieder.
Im Sperrmüll lag ein schöner Bär.
Den schenkt sie jenem Kind.
Dann hockt sie sich zu Joschi her,
mitten in den Wind.
Sie setzt sich zwischen Armengräbern
auf die eine, kalte Bank
und träumt minutenlang,
oder Stunden,
auch nachts, in ihrem Zimmer -
also: immer.
2.
Weit, so weit, die Insel Rügen.
Da treibt sie alle Sehnsucht hin.
Joschi, sie - im Schlafsack drin
und nur sie zwei allein am Strand.
Joschi...?
Ballade und Bild: (c) Ralph Bruse
Der Zauberer
Er saß auf jener Bank im Hafen,
beinah reglos, doch nicht stumm.
Die Augen zu, als würd´ er schlafen,
wehn leise seine Worte um.
Das wirre Haar hob sich im Wind.
Hoch aufgestellt der Kragen,
vernimmt man Silben, wie vom Kind;
hört sich der Mann bald sagen:
> Du hast die Liebste nicht beschützt,
auch die kleine Tochter nicht.
Wem das verdammte Leben nützt,
allein und ohne beider Licht?! <
Sie fuhren einst zu dritt im Boot.
Ringsum das rauhe Meer.
Dann waren zwei im Sturme tot.
Nur ihn warf es hierher.
2.
Stunden rannen hin, zur Nacht,
die keine Klarheit bringen.
Er hörte jemanden, der lacht
und eine Melodie erklingen...
So nah, so greifbar und vertraut
zog es ihn durch das Dunkel,
weg vom Ort. Wohin er schaut:
zunächst nur flirrendes Gefunkel.
Doch dann wird aus der Sehnsuchtskraft
nur Wahrheit, die kein Schein erschafft...
Da saßen drei in einem Boot.
Sie fuhren unter gutem Stern
ins Nachtblau aus dem Abendrot,
und aller Sorgen fern.
Er sah die Liebste, sah das Kind.
Hielt beide fest im Arm.
Der Fischerkahn glitt hin, im Wind,
ganz gleich, woher der kam.
Sie spielten lachend Räuberleiter
und fingen Sternenregen.
Sie trieben ab und immer weiter....
Bis das erste Morgenlicht,
all seine Zauberkraft zerbricht.
Und der Mann von jener Bank,
geht tief gebeugt den Heimweg lang.
Ballade und Bild: (c) Ralph Bruse
veröffentlicht im Sammelband Trümmerseele
SternenBlick org.
ISBN: 978-3-7392-1053-7
Komm nicht näher
In der Meeresbucht – weit draußen
steht ein Leuchtturm – menschenleer.
Manchmal klingt das Wellenbrausen,
als weine sich ein Auge leer.
Smatt kam oft allein hierher.
Versunken, wie das Abendlicht
wankte er und wünschte sehr,
daß jemand mahnend zu ihm spricht.
Doch niemand kam und warnte ihn...
So ging er wieder einmal los.
Gab letztem Zögern einen Stoß;
stieg hin, über Geröll und Schlamm,
auf dem verwaist geglaubten Damm.
Die grauen Fluten stiegen an
und dichter Nebel zog heran.
Doch Smatt lief weiter voller Mut,
als stürme er zum Endlos-Himmel.
Endlich stand er vor dem Turm
und im Wasser bis zum Bauch.
Vernahm Donnern, Fauchen, Grollen
und tiefe Menschenstimmen auch.
Er zerrte an des Turmes Tür.
Sie wich ihm keinen Spalt.
Nun war er jedoch schon mal hier
und so gab es auch kein Halt.
Da drüben - jene Seitenleiter...!
Er hangelt sich daran empor.
> Höher. Hoch mit dir! Los, weiter!, <
treibt er sich zur Eile an.
Plötzlich schaut er in ein Fenster -
es ähnelt einem Bogentor.
Nein – dort waren nicht Gespenster -
doch da - der alte, krumme Mann...!
Der hockt da, im Dämmerdunkel,
noch grübelnd auf dem dünnen Stuhl.
Der Alte starrt ihn plötzlich grimmig an!
Welch ein grauenvoller Blick,
aus Bitterkeit und jähem Zorn!
Der Gruß des Fremden hallt zurück.
Schon fühlt Smatt sich verlor´n.
Der Greise hebt den dürren Leib;
schlurft scheinbar voller List
zum Fenster hin -
da, wo der Fremde starr vor Angst
und voll von schlimmer Ahnung ist...
Der Atem weht ihm ins Gesicht:
faul, als sei er lange tot...
Doch aus dem schwachen Kammerlicht
kommt auch leuchtend helles Rot.
Das Blut des Alten, das vom Kopf
in die laute Stille tropft.
Tropf tropf
tropf tropf...
Die Spinnenhände packen zu;
grob und hart und ohne Ruh´.
Smatt flehte noch um ein Wunder -
doch der Alte stößt ihn runter.
Er fällt und fällt in tiefste Nacht.
Und über ihm der Alte lacht...
2.
Das Meer gab Smatt zu leben frei
und warf ihn her, zurück, an Land.
Er hört noch jenen Zornesschrei,
der ihm lange folgt, am Strand.
Warum zürnt hier das Meer so laut,
oftmals schon nach kurzer Weile?
Und jener Turm, vor dem ihm graut -
warum stoppt er dann Flucht und Eile?
Von Dunst umschlungen steht der Turm.
Trotzt Blicken und dem stärksten Sturm.
Ein Fingerzeig am grauen Meer.
Und wehe, ihm naht irgendwer...!
Gedicht & Foto: (c) Ralph Bruse
Auf Sand
Dort draußen, wo die Möwen schreien,
steht der alte Leuchtturm noch.
Wo wilde Stürme sich befreien,
schlägt das Branden Loch an Loch.
Wer sich abends dort verliert,
steht in tröstlich hellem Schein.
Und wer in großer Weite friert,
fühlt sich im Licht nicht ganz allein.
Doch der alte Leuchtturm wankt.
Die Jahre sanken mit ihm nieder.
Wo je ein Boot in Rettung schwankt,
holt Finsternis den Lichtschein wieder.
Der Eine, der dort immer saß,
im Turme, ganz weit oben;
der das Rundlicht nie vergaß:
er wurde alt – etwas verschroben.
Er weiß dennoch, wie es geschah,
als der Turm im Tosen fiel.
Da sind sie sich zum Greifen nah,
am gefluteten Priel.
Er faselte von neuem Leben,
obwohl das alte nun hier endet.
Der Turm wird sich für ihn erheben!,
auch wenn das Blatt sich erstmal wendet.
Nach der Sturmnacht saß er dort
am Priel, wie glückverlassen.
Vertrautes schwamm in Trümmern fort.
Er kriegte einfach nichts zu fassen.
Doch dann trieb ihm ein Stein zur Hand
und er umschloss ihn stumm.
Einst bauten sie den Turm auf Sand...
...In ihm geht jäh ein Hoffen um.
Sein Lächeln wird sich wiederfinden.
Die Kräfte werden vielleicht reichen.
Er wird mit jedem Stein sich schinden;
im Sturm auch keinen Meter weichen
*
Warum ist es plötzlich ganz still,
als er für sich spricht: > So Gott will....< ?
© Ralph Bruse
Vertraut
Einsam liegt der Kutterhafen
und der Nebel schwer.
Wo sich am Tag noch Leute trafen
knarrt’s nur ringsumher.
Horch, das Schlurfen derber Botten...!
Der frühe Fischersmann
stapft umringt von zwei, drei Motten
vor, zur Reling dann.
Er ist noch schläfrig von der Nacht
und nicht gut gelaunt.
Hat sich auch Sorgen mitgebracht.
Jetzt steht er da, und staunt...
Ein Licht durchbohrt die Nebelsuppe,
besetzt den alten Kahn.
Und die kleine Mottentruppe
tanzt wie im Fieberwahn.
Die lichte See ist ein Rubin.
Der erste Kaffee: gold.
Und wenn die Möwen landwärts ziehn,
hat sich die Nacht getrollt.
Sein Lächeln und ein Blick zurück.
Die Sorgen.
Welche Sorgen?
Die Liebste winkt vom Haus ein Stück,
wie immer, früh am Morgen.
Soweit der Mann auch schaut -
gilt nur ein Wort:
vertraut.
Gedicht und Bild: (c) Ralph Bruse
Der Stein
Kjell ist lange nicht hier gewesen. Viele Jahre hat er im Bauch
des riesigen, dunklen Erdreiches geschuftet, um seiner Familie
das zu bieten, was man gemeinhin Wohlstand nennt.
Kjell war Bergmann, und er ist zurückgekehrt, um die letzten
Lebensjahre in seiner alten Heimat zu verbringen. Die Heimat
hatte damals keine Arbeit mehr für ihn. In diesem Landflecken
gab es keine Industrie - nicht mal einen rauchenden Schlot, der
höher aufstieg als der Leuchtturm, den er gerade hinter sich ließ.
Kjell geht langsam, zögernd den schmalen Sandstrand entlang,
ohne sich umzusehen. Noch ist die Vertrautheit dieser menschen-
leeren Einöde nicht zu ihm durchgedrungen. Alles ist irgendwie
fremd und unwirklich geworden, obwohl er weiß, dass die Ruhe
hier draußen jetzt nur ihm allein gehört.
Rechterhand ragt die struppig aussehende Steilküste immer hö-
her auf. Er sucht die See nach einem Punkt aus seiner Erinne-
rung ab, den er fixieren kann. Doch seine müden Augen finden
kein Ziel. Hilflos irren sie umher.
Die zischenden Wellen, die diese Insel umarmen, gleichen schäu-
mender Selterbrause. Man möchte die Zunge reinstecken, wüss-
te man nicht, wie salzig sie sind.
Die Wolken hängen so tief, dass er mit seiner Mütze danach wer-
fen könnte. Pure Verlockung - doch nichts geschieht.
Weit draußen gleitet ein Schiff vorüber, direkt unter dem pracht-
vollen Lichtball der untergehenden Sonne. Das Schiff steht in
Flammen - nicht wirklich. Das flirrende Licht spielt nur mit ihm.
Kjell starrt in die flimmernde Weite. Die Augen schmerzen ihm.
Er senkt den Blick; redet mit sich selbst. Hat dich die Arbeit im
Schacht zum Jammerlappen gemacht? Sieh hin, alter Junge, das
ist sie, deine Heimat! Und sie hat sich nur ein bisschen verändert.
Schau hin und freu dich!
Sein Gang wird immer schwerer und der krumme Rücken sackt
noch tiefer ein. Da, im Bergbau, war er nie der, der er immer sein
wollte - ein fröhlicher Kerl, der unentwegt davon träumte, hier -
nur hier, am offenen Meer, alt zu werden.
Wunschdenken. Der hiesige Fischfang lohnte nicht mehr, und
mit der Landwirtschaft ging es auch bergab.
Die Träume des Jungen zerplatzten. Und als die Zeit reif war,
ging er schweren Herzens davon, um sich in der lauten Stadt
durchzuschlagen.
Er fand eine gutbezahlte Arbeit und eine Freundin, die er zur
Frau nahm, noch ehe sie ihm zwei Kinder schenkte. Er liebte
seine Familie über alles und er schob massig Überstunden,
um sie gut über die Runden zu bringen.
Mit den Jahren bemerkte er jedoch auch die zweite, heimliche
Liebe in sich ausbrechen - die schmerzvolle Sehnsucht nach
Poel, der kleinen Ostseeinsel, die er seit seinem Fortgang nicht
mehr gesehen - sogar absichtlich gemieden hatte, um nicht zu
sehr in traurige Gedanken hinab zu fallen. Er verleugnete seine
Sehnsüchte - drohte ihnen gar in vielen, wach gelegenen Näch -
ten. Wenn sie ihn dennoch besiegten, ertränkte er sie tief in Al-
kohol. Immer öfter zog er sich hinter seine Haut zurück, wurde
stiller und störrischer. Nur ein Trost hielt ihn schließlich noch
aufrecht...Eines Tages, sagte er sich wieder und wieder...Eines
guten Tages werden wir soviel gespart haben, um fortzugehen.
Es dauerte lange. Verdammt lange. Vierzig verschenkte Jahre
in Dunkelheit. Und jetzt ist er alt und wieder hier.
Ihm ist nach Weinen zu Mute. Er sog die Salzluft tief ein.
Plötzlich schüttelte ihn ein Hustenanfall, der nicht gut klang.
Kein Andenken ist so grässlich, wie dieses!, dachte er verbittert.
Allmählich legte sich der Husten. Kjell beugte sich nieder - zog
die drückenden Schuhe von den Füßen. Er knotete die Schnür-
senkel zusammen und warf sich die Botten über die Schulter.
Da war es! Das erste, zaghafte Lächeln tanzte in seinem Ge-
sicht...So hat er es schon als Bengel gemacht: Schnürsenkel ge-
bunden und die Kloben huckepack.
Er bückte sich wieder; diesmal nach einem flachen Stein, den
er viermal über die rauschenden Wellen hüpfen ließ.
Für’n ollen Klapperkasten nicht schlecht, flappste er schon viel
zufriedener. Zwar sind seine Steine damals sieben, acht Mal
über‘s Wasser gepitscht, aber was soll’s. Für’n neuen Anfang
ist viermal garnicht so übel.
Für’n Anfang, wiederholte er.
2.
Ihm wurde warm. Sein ganzer Leib wurde von dieser wohligen
Wärme durchströmt. Seine Augen tränten - vielleicht vom auf-
frischenden Wind, vielleicht auch vor Rührung.
Und dann sah er ihn - den riesigen Stein am Ufer!...Auf jenem
Brocken saß er als Junge oft stundenlang, um jede Laune des
Meeres zu belauschen. Der Stein stand noch genau an dersel-
ben Stelle, wie vor vierzig Jahren! Kein Sturm und keine Macht
konnten ihn von hier verdrängen!
Kjell kniff die Augen. Tatsächlich, das war sein Aussichtsstein!
Wie ein rundgeschliffener Berg ragte er aus dem Wasser. An sei-
nen buntschillernden Flanken tummelten sich unzählige Mu-
scheln, grüner Schlamm und schwarze Schwärme aus Fliegen.
Das leise Surren wirkte wie Medizin. Ein Albatross segelte he-
ran, um auf der Krone des Steins auszuruhen.
Kjell stolperte vorwärts - ins Wasser - auf den Brocken zu.
Genau in dem Moment sank die Sonne ins Meer. Der Albatross
schwang sich in den auffrischenden Wind und zog weisse Kreise
über dem Stein, an dem Kjell mehrmals unter größter Kraftan-
strengung hochkroch.
Sein fünfter Versuch gelang endlich. Schwitzend; heftig schnau-
bend saß er da und schleuderte sein befreites Lachen in den
Abend. Als auch sein heftig trommelndes Herz zur Ruhe kam,
sprach er bewegt und unermüdlich mit zittrigen Fingern den
Stein betastend: Erzähl’ mir was, alter Freund...Wir haben uns
so lange nicht gesehn...
Und dann erzählte Kjell ihm was war und was sein wird. Wäh-
rend er von seinem Leben sprach, lachte er hin - und wieder.
Aber er weinte auch viele Tränen.
Die Nacht brach an. Ihm wurde kalt. Doch er blieb.
Ein Gewitter schlich sich an und schlug in Sekundenschnelle
über der See zusammen. Der prasselnde Regen, danach, fiel
warm und dampfend ins stille Land.
Kjell hob das Gesicht und fing den Regen in seinen Augen. Sei-
ne Hände wischten über den Stein, unter sich - so als würden
sie einem Kameraden Haarsträhnen aus der Stirn streichen.
Der Wind lebte auf und fauchte. Doch die Worte sind da. Klar
und deutlich: Jetzt bin ich zu Hause, mein Freund. Jetzt bin
ich zu Hause...
Geschichte & Foto: (c) Ralph Bruse
Schön, daß du hier warst. Bis bald mal wieder!
Ein kleiner Eintrag ins Gästebuch würde uns freuen.