Es macht wohl wenig Sinn, darüber nachzudenken, warum es soviele

Menschen zum Meer hinzieht. 

Die bessere Frage ist vielleicht: wann sehen wir es wieder?

 

R.B. 

La mer

Balladen von Küste und Meer

Inhalt: 

 

Am Meer sitzen

Strandszenen

Josef

La mer

Spätsommer am Meer

Hafenstadt im Regen

Das Wirtshaus am Meer

Was nie wird

Der Zauberer

Komm nicht näher

Auf Sand

Vertraut

Der Stein

Am Meer sitzen

 

 

Kein Licht flirrt in der klaren Nacht.

Doch – dort vom Hafen her

steht noch eins auf stummer Wacht,

als hielt es tapfer irgendwer.

 

So sitze ich zu später Stunde

am leeren, langen Strand.

Ich ging so gern und weit die Runde

wie einst durch stilles Land.

 

Die Beine sind zu alt und müd,

nach einundachtzig Jahren.

Auch wenn es mich oft hierher zieht, 

lass ich sie manchmal klaglos fahren:

die große Sehnsucht,

ohne mich.

 

Schaff ich es doch. Und es ist Tag,

seh letzte Nebelschleier fliehen

und weisse Wolken kommen;

ein Kind im Sand, das spielen mag,

oder Grimmassen ziehen -

hell lachend, ohne jede List:

dann ist es gut so, wie es ist.

 

 

© Ralph Bruse

Strandszenen

 

 

In der Bar, mit Blick zur See,

saß ein Mann vor schwarzem Tee,

gebeugt, hinter ein Zeitungsblatt.

 

Die Zeitung sank; er schaute raus;

zog seine Stirn ein wenig kraus;

atmete tief, als wär er matt.

 

Am Haff, die Dame mit dem Hut,

ging hin, wie es sonst keine tut:

in gelassener Eleganz.

 

Ihr Kleid: es wehte auf und nieder.

Nur ihren Hut rückte sie wieder

gelegentlich zurecht, im Wind.

 

Im Dünengras, das Liebespaar,

das gerade noch schwimmen war:

es spürte weder Zeit, noch Raum.

 

Es spürte einzig sich - entrissen

von langen, zarten Zungenküssen:

wie zwei im wahrsten Seelentanz.

 

Schreiende Kinder vorn, am Strand,

schnappten sich reichlich nassen Sand

und modderten sich fröhlich ein.

 

Der Mann im Pub, mit Blick zur See,

zahlte auch den Rum im Tee.

Dann ging er vor, in Richtung Hafen.

 

Der Abend holt die Sonne fort.

Die Dame mit dem Hut saß dort,

auf einer Bank - und schien zu schlafen.

 

Der Mann im Hafen setzte sich,

ins gelbliche Laternenlicht -

zu ihr, mit Lächeln im Gesicht.

Rein nichts geschah:

Er wachte

und die 

Fremde 

schlief.

 

 

(c) Ralph Bruse

Josef

 

 

Er steht vor seiner kleinen Kate,

in hellstem Licht, zur Vordertür -

zieht vielleicht den Tag zu Rate.

Vielleicht steht er auch nur so hier.

 

Die Sonne wärmt ihn wunderbar.

Er möcht´ am liebsten bleiben.

Vom Meer, der Wind, zerzaust sein Haar.

Der kann ihn nicht vertreiben.

 

Josef steht schon lange dort.

Da will er auch vergehen.

Kennt ein paar Leute in dem Ort,

die ihn meist nicht verstehen.

 

Sei´s drum: er macht die Augen zu -

den Sommer tief im Sinn...

Vernimmt vom Stall ein dumpfes Muuh.

Höchst ungern stapft er schließlich hin.

 

> Na gut, ihr lahmen Nervensägen, <

murrt er in sich hinein.

> Ihr kommt mir wirklich ungelegen.

Ich will mal trotzdem nicht so sein. <

 

*

 

Auch später sieht man Josef dann

durchwärmt vor seiner Türe stehen.

Von Rosi träumend, irgendwann,

die oft draußen mit ihm stand,

in lauem Sommerwehen.

 

 

(c) Ralph Bruse

La mer

 

 

Als der späte Sommer ging

kamst nur du hierher.

Oft sich nun dein Blick verfing

an Land und auf dem Meer.

 

War zu still in jenen Tagen

und in trüber Geisternacht.

Hörst im Rauch ein leises Klagen -

hörst dich reden, sacht.

 

Jeder Schritt auf Sand und Stein

holt mehr Klarheit fort.

Wirst wohl gottverlassen sein,

so düster wirkt der Ort.

 

Du hast dein Traurigsein verflucht

und nicht das Licht gesehn-

hast zu tief nach dir gesucht

durch das Abendwehn.

 

Kühle Brise wischt dir wieder

über müde Augenlider,

haucht aus Schwärze Licht für Licht.

Doch du siehst es nicht.

Worte & Foto: (c) Ralph Bruse

Spätsommer am Meer

 

 

Der laue Tag erzittert leicht.

Eine kühle Brise streicht

vom Horizont ins Land.

 

Hier - die große Meeresbucht

raunt es schon in jede Flucht:

nun wird es langsam Zeit.

 

Die Badenden sind auch längst fort.

Nur zwei Kinder laufen dort

vergnüglich noch auf Sand.

Sie haben Zeit und sich vergessen.

Wer kann jenes Glück ermessen,

das die Beiden wiegt?

 

Schon sinkt der Tag ins letzte Licht.

Doch so ganz kommt Schwärze nicht,

denn da brennt ein Feuer.

 

Und am Lagerfeuer sitzt

ein Junge, der im Sande ritzt:

sein Herz, vom Pfeil durchbohrt.

 

Wird sicher für das Mädchen sein,

das dann schlief bei Flammenschein

und in seinem Schoß.

Gedicht und Bild: (c) Ralph Bruse

Hafenstadt im Regen

 

 

Regen hat das Licht verschlungen.

Drängend kommt schon Nacht heran.

Auf dem Parkplatz lärmen Jungen,

küssen Mädchen dann und wann.

 

Sieh - die klein'ren Kinder springen

munter noch in Riesenpfützen!

Und im Bürgersaal - da singen

Männer mit Matrosenmützen

Seefahrtslieder,

immer wieder.

 

Am Markt, die gold´ne Wasserkunst,

wankt in filigranem Dunst.

Und vis a´ vis, der ´Alte Schwede´

schluckt Leute, Lachen, Qualm, Gerede.

 

Drängend legt sich Stille weit.

Tritt herein zur Dunkelheit.

Taue knirschen.

Durch das Dunkel

bricht sich schemenhaft Gefunkel.

Und die eine Hafenlampe

zittert tapfer vor der Rampe.

 

Da, am Kutter, brennt noch Licht.

Wer werkelt dort so spät?

Du siehst noch flüchtig ein Gesicht

und jemanden, der geht.

 

Dann sind Nacht und Meer allein -

und am Kai

in blassem Schein -

die stumme Meerjungfrau

aus Stein.

Grafik: unbekannter Zeichner

Worte: (c) Ralph Bruse

Das Wirtshaus am Meer

 

 

Wenn ich an gestern Abend denke,

dann schaudert es mich sonderbar...

Ich kam in jene düstre Schenke,

wo in Wahrheit niemand war.

Dennoch war ich mir ganz sicher....

 

Der Ort war abseits aller Straßen.

Der Wind vom Meer blies stramm und kalt.

Und an verschmierten Fenstern saßen

reglose Gestalten - jung und alt.

So trat ich ein...

 

Kein Wirt, der fragt, wo käm ich her?

Niemand nimmt sich meiner an.

Daß ich ein Ruhebett begehr,

sag ich, so laut ich kann.

Doch offenbar hört mich hier drinnen

keine der Gestalten.

Also schrei ich wie von Sinnen

sie alle an -

die Jungen und die Alten;

zur Linken, jenes eine Kind.

Still.

Kein Mucks von Maus und Mann.

Und draußen tobt der Wind.

 

Plötzlich kracht die schwere Tür.

Ein Mann tritt polternd ein.

Als ich die Hand zum Gruß berühr',

ist mir, als sei sie Stein -

hart und kalt,

wie Rohbasalt,

und ohne Menschenblut.

 

Schnaufend setzt er sich zu Tisch,

starrt mich lange seltsam an.

Geruch von saurem Billigwein

mischt sich mit dem von faulem Fisch.

 

Wohl ein versoff'ner Wandersmann.

Ach, was weiß denn ich...!

Weiß nur, daß ich zittrig werde.

Im Öllicht sitzt - halb Mensch, halb Tier...

 

Der Mann von vorher hebt sein Kinn -

spricht lautlos beinahe zu mir:

Siehst du all die armen Seelen,

die keine Ruhe finden?

Sieh - die stumm geword'nen Kehlen;

und jene, ohne Sünden.

Sie alle fanden einst hierher.

Hör nur, ihre stillen Klagen...

Nun stehst auch du am grauen Meer

und hörst dich einsam sagen:

Gebt mir ein Bett - nur für die Nacht...

Nein, mein Freund, so geht das nicht;

denn wenn der Morgen erst erwacht,

erlischt hier Haus und jedes Licht.

Am Tag wirst du hier garnichts sehn.

Du hast dein Kommen nicht bedacht,

und: nein, du kannst nicht einfach gehn...

 

Und ob ich kann!, schrie ich und floh.

Warf Mann und sieben Stühle um.

Das Kind im Eck gegriffen.

Türe auf.

Ins Freie, los!

In den Wind.

Mit dem Kind.

 

Weitab vom Meer - im Marschenland,

ließ man uns ins sich're Haus.

Ich schlief erschöpft und Hand in Hand

an des Kindes Seite ein.

 

Mit dem ersten Morgenlicht

wurde mir der Atem schwer,

denn nach Erwachen,

leisem Lachen,

spür ich die Hand des Kindes nicht -

die meine, die ist leer.

 

2.

Heute suche ich, und morgen

in hellstem Licht das Haus am Meer.

Ledig aller and´rer Sorgen,

treiben Stürme mich umher -

hierhin, dahin, immerfort,

nur nicht zum gesuchten Ort.

Immer fort....

Ballade und Bild: (c) Ralph Bruse

 

 

Das Wirtshaus am Meer ist vertont auch unter

´selbstgesprochene Gedichte´  zu hören.

Was nie wird

 

 

Fern, so fern, die Insel Rügen...

Da wollten sie nur einmal hin.

Stunden würden schon genügen:

alle Sorgen aus dem Sinn -

nah der Brandung, fern dem Morgen,

Joschi nah bei ihr, im Sand.

Säuselnd in der Nacht geborgen

und sie zwei allein am Strand.

 

Ach, Joschi...

 

Als wackle sie im schwachen Wind,

so steht sie seufzend hier.

Beugt sich schließlich zu dem Kind

und säubert dessen Kuscheltier.

Der Winter, hier, war hart und gründlich.

Die Kreuze sind verwittert.

Doch jetzt scheint Sonne.

Täglich. Stündlich kommen Leute,

viele traurig und verbittert.

 

Joschis´ Kreuz steht erst seit Wochen.

Dünn, lackiert. Aus Fichtenholz.

Wird sie darauf angesprochen,

schweigt sie,

weint nie.

Erst viel später,

zuhaus,

gebrochen aller Stolz -

weint sie, so laut sie kann!

 

Heute harkt sie dürres Laub.

Morgen kommt sie wieder.

Knickt ein Kreuz in Sturm und Staub,

beugt sie sich zu ihm nieder.

 

Im Sperrmüll lag ein schöner Bär.

Den schenkt sie jenem Kind.

Dann hockt sie sich zu Joschi her,

mitten in den Wind.

 

Sie setzt sich zwischen Armengräbern

auf die eine, kalte Bank

und träumt minutenlang,

oder Stunden,

auch nachts, in ihrem Zimmer -

also: immer.

 

2.

Weit, so weit, die Insel Rügen.

Da treibt sie alle Sehnsucht hin.

Joschi, sie - im Schlafsack drin

und nur sie zwei allein am Strand.

 

Joschi...?

Ballade und Bild: (c) Ralph Bruse

Der Zauberer

 

 

Er saß auf jener Bank im Hafen,

beinah reglos, doch nicht stumm.

Die Augen zu, als würd´ er schlafen,

wehn leise seine Worte um.

 

Das wirre Haar hob sich im Wind.

Hoch aufgestellt der Kragen,

vernimmt man Silben, wie vom Kind;

hört sich der Mann bald sagen:

> Du hast die Liebste nicht beschützt,

auch die kleine Tochter nicht.

Wem das verdammte Leben nützt,

allein und ohne beider Licht?! <

 

Sie fuhren einst zu dritt im Boot.

Ringsum das rauhe Meer.

Dann waren zwei im Sturme tot.

Nur ihn warf es hierher.

 

2.

Stunden rannen hin, zur Nacht,

die keine Klarheit bringen.

Er hörte jemanden, der lacht

und eine Melodie erklingen...

So nah, so greifbar und vertraut

zog es ihn durch das Dunkel,

weg vom Ort. Wohin er schaut: 

zunächst nur flirrendes Gefunkel.

Doch dann wird aus der Sehnsuchtskraft

nur Wahrheit, die kein Schein erschafft...

Da saßen drei in einem Boot.

Sie fuhren unter gutem Stern

ins Nachtblau aus dem Abendrot,

und aller Sorgen fern.

Er sah die Liebste, sah das Kind.

Hielt beide fest im Arm.

Der Fischerkahn glitt hin, im Wind,

ganz gleich, woher der kam.

Sie spielten lachend Räuberleiter

und fingen Sternenregen.

Sie trieben ab und immer weiter....

 

Bis das erste Morgenlicht,

all seine Zauberkraft zerbricht.

Und der Mann von jener Bank,

geht tief gebeugt den Heimweg lang.

Ballade und Bild: (c) Ralph Bruse

veröffentlicht im Sammelband Trümmerseele

SternenBlick org.

ISBN: 978-3-7392-1053-7

Komm nicht näher

 

 

In der Meeresbucht – weit draußen

steht ein Leuchtturm – menschenleer.

Manchmal klingt das Wellenbrausen,

als weine sich ein Auge leer.

 

Smatt kam oft allein hierher.

Versunken, wie das Abendlicht

wankte er und wünschte sehr,

daß jemand mahnend zu ihm spricht.

Doch niemand kam und warnte ihn...

 

So ging er wieder einmal los.

Gab letztem Zögern einen Stoß;

stieg hin, über Geröll und Schlamm,

auf dem verwaist geglaubten Damm.

 

Die grauen Fluten stiegen an

und dichter Nebel zog heran.

Doch Smatt lief weiter voller Mut,

als stürme er zum Endlos-Himmel.

 

Endlich stand er vor dem Turm

und im Wasser bis zum Bauch.

Vernahm Donnern, Fauchen, Grollen

und tiefe Menschenstimmen auch.

 

Er zerrte an des Turmes Tür.

Sie wich ihm keinen Spalt.

Nun war er jedoch schon mal hier

und so gab es auch kein Halt.

 

Da drüben - jene Seitenleiter...!

Er hangelt sich daran empor.

> Höher. Hoch mit dir! Los, weiter!, <

treibt er sich zur Eile an.

 

Plötzlich schaut er in ein Fenster -

es ähnelt einem Bogentor.

Nein –  dort waren nicht Gespenster -

doch da - der alte, krumme Mann...!

Der hockt da, im Dämmerdunkel, 

noch grübelnd auf dem dünnen Stuhl.

Der Alte starrt ihn plötzlich grimmig an!

Welch ein grauenvoller Blick,

aus Bitterkeit und jähem Zorn!

Der Gruß des Fremden hallt zurück.

Schon fühlt Smatt sich verlor´n. 

 

Der Greise hebt den dürren Leib;

schlurft scheinbar voller List

zum Fenster hin -

da, wo der Fremde starr vor Angst

und voll von schlimmer Ahnung ist...

 

Der Atem weht  ihm ins Gesicht:

faul, als sei er lange tot...

Doch aus dem schwachen Kammerlicht

kommt auch leuchtend helles Rot.

Das Blut des Alten, das vom Kopf

in die laute Stille tropft.

Tropf tropf

  tropf tropf...

 

Die Spinnenhände packen zu;

grob und hart und ohne Ruh´.

Smatt flehte noch um ein Wunder -

doch der Alte stößt ihn runter.

Er fällt und fällt in tiefste Nacht.

Und über ihm der Alte lacht...

 

 

2.

Das Meer gab Smatt zu leben frei

und warf ihn her, zurück, an Land.

Er hört noch jenen Zornesschrei,

der ihm lange folgt, am Strand.

 

Warum zürnt hier das Meer so laut,

oftmals schon nach kurzer Weile?

Und jener Turm, vor dem ihm graut -

warum stoppt er dann Flucht und Eile?

 

Von Dunst umschlungen steht der Turm.

Trotzt Blicken und dem stärksten Sturm.

Ein Fingerzeig am grauen Meer.

Und wehe, ihm naht irgendwer...!

Gedicht & Foto: (c) Ralph Bruse

Auf Sand

 

 

Dort draußen, wo die Möwen schreien,

steht der alte Leuchtturm noch.

Wo wilde Stürme sich befreien,

schlägt das Branden Loch an Loch.

 

Wer sich abends dort verliert,

steht in tröstlich hellem Schein.

Und wer in großer Weite friert,

fühlt sich im Licht nicht ganz allein.

 

Doch der alte Leuchtturm wankt.

Die Jahre sanken mit ihm nieder.

Wo je ein Boot in Rettung schwankt,

holt Finsternis den Lichtschein wieder.

 

Der Eine, der dort immer saß,

im Turme, ganz weit oben;

der das Rundlicht nie vergaß:

er wurde alt – etwas verschroben.

 

Er weiß dennoch, wie es geschah,

als der Turm im Tosen fiel.

Da sind sie sich zum Greifen nah,

am gefluteten Priel.

 

Er faselte von neuem Leben,

obwohl das alte nun hier endet.

Der Turm wird sich für ihn erheben!,

auch wenn das Blatt sich erstmal wendet.

 

Nach der Sturmnacht saß er dort

am Priel, wie glückverlassen.

Vertrautes schwamm in Trümmern fort.

Er kriegte einfach nichts zu fassen.

 

Doch dann trieb ihm ein Stein zur Hand

und er umschloss ihn stumm.

Einst bauten sie den Turm auf Sand...

...In ihm geht jäh ein Hoffen um.

 

Sein Lächeln wird sich wiederfinden.

Die Kräfte werden vielleicht reichen.

Er wird mit jedem Stein sich schinden;

im Sturm auch keinen Meter weichen

 

*

 

Warum ist es plötzlich ganz still,

als er für sich spricht: > So Gott will....< ?

 

 

© Ralph Bruse

Vertraut

 

 

Einsam liegt der Kutterhafen

und der Nebel schwer.

Wo sich am Tag noch Leute trafen

knarrt’s nur ringsumher.

 

Horch, das Schlurfen derber Botten...!

Der frühe Fischersmann

stapft umringt von zwei, drei Motten

vor, zur Reling dann.

 

Er ist noch schläfrig von der Nacht

und nicht gut gelaunt.

Hat sich auch Sorgen mitgebracht.

Jetzt steht er da, und staunt...

 

Ein Licht durchbohrt die Nebelsuppe,

besetzt den alten Kahn.

Und die kleine Mottentruppe

tanzt wie im Fieberwahn.

 

Die lichte See ist ein Rubin.

Der erste Kaffee: gold.

Und wenn die Möwen landwärts ziehn,

hat sich die Nacht getrollt.

 

Sein Lächeln und ein Blick zurück.

Die Sorgen.

Welche Sorgen?

Die Liebste winkt vom Haus ein Stück,

wie immer, früh am Morgen.

 

Soweit der Mann auch schaut -

gilt nur ein Wort:

vertraut.

Gedicht und Bild: (c) Ralph Bruse

Der Stein

 

 

Kjell ist lange nicht hier gewesen. Viele Jahre hat er im Bauch 

des riesigen, dunklen Erdreiches geschuftet, um seiner Familie 

das zu bieten, was man gemeinhin Wohlstand nennt. 

Kjell war Bergmann, und er ist zurückgekehrt, um die letzten 

Lebensjahre in seiner alten Heimat zu verbringen. Die Heimat 

hatte damals keine Arbeit mehr für ihn. In diesem Landflecken 

gab es keine Industrie - nicht mal einen rauchenden Schlot, der 

höher aufstieg als der Leuchtturm, den er gerade hinter sich ließ. 

 

Kjell geht langsam, zögernd den schmalen Sandstrand entlang, 

ohne sich umzusehen. Noch ist die Vertrautheit dieser menschen- 

leeren Einöde nicht zu ihm durchgedrungen. Alles ist irgendwie 

fremd und unwirklich geworden, obwohl er weiß, dass die Ruhe 

hier draußen jetzt nur ihm allein gehört. 

Rechterhand ragt die struppig aussehende Steilküste immer hö- 

her auf. Er sucht die See nach einem Punkt aus seiner Erinne-

rung ab, den er fixieren kann. Doch seine müden Augen finden 

kein Ziel. Hilflos irren sie umher. 

Die zischenden Wellen, die diese Insel umarmen, gleichen schäu- 

mender Selterbrause. Man möchte die Zunge reinstecken, wüss-

te man nicht, wie salzig sie sind. 

Die Wolken hängen so tief, dass er mit seiner Mütze danach wer-

fen könnte. Pure Verlockung - doch nichts geschieht.

Weit draußen gleitet ein Schiff vorüber, direkt unter dem pracht-

vollen Lichtball der untergehenden Sonne. Das Schiff steht in

Flammen - nicht wirklich. Das flirrende Licht spielt nur mit ihm. 

Kjell starrt in die flimmernde Weite. Die Augen schmerzen ihm. 

Er senkt den Blick; redet mit sich selbst. Hat dich die Arbeit im 

Schacht zum Jammerlappen gemacht? Sieh hin, alter Junge, das 

ist sie, deine Heimat! Und sie hat sich nur ein bisschen verändert. 

Schau hin und freu dich! 

Sein Gang wird immer schwerer und der krumme Rücken sackt 

noch tiefer ein. Da, im Bergbau, war er nie der, der er immer sein 

wollte - ein fröhlicher Kerl, der unentwegt davon träumte, hier - 

nur hier, am offenen Meer, alt zu werden. 

Wunschdenken. Der hiesige Fischfang lohnte nicht mehr, und 

mit der Landwirtschaft ging es auch bergab. 

Die Träume des Jungen zerplatzten. Und als die Zeit reif war, 

ging er schweren Herzens davon, um sich in der lauten Stadt 

durchzuschlagen. 

Er fand eine gutbezahlte Arbeit und eine Freundin, die er zur 

Frau nahm, noch ehe sie ihm zwei Kinder schenkte. Er liebte 

seine Familie über alles und er schob massig Überstunden, 

um sie gut über die Runden zu bringen. 

Mit den Jahren bemerkte er jedoch auch die zweite, heimliche 

Liebe in sich ausbrechen - die schmerzvolle Sehnsucht nach 

Poel, der kleinen Ostseeinsel, die er seit seinem Fortgang nicht 

mehr gesehen - sogar absichtlich gemieden hatte, um nicht zu 

sehr in traurige Gedanken hinab zu fallen. Er verleugnete seine 

Sehnsüchte - drohte ihnen gar in vielen, wach gelegenen Näch - 

ten. Wenn sie ihn dennoch besiegten, ertränkte er sie tief in Al- 

kohol. Immer öfter zog er sich hinter seine Haut zurück, wurde 

stiller und störrischer. Nur ein Trost hielt ihn schließlich noch 

aufrecht...Eines Tages, sagte er sich wieder und wieder...Eines 

guten Tages werden wir soviel gespart haben, um fortzugehen. 

Es dauerte lange. Verdammt lange. Vierzig verschenkte Jahre 

in Dunkelheit. Und jetzt ist er alt und wieder hier. 

 

Ihm ist nach Weinen zu Mute. Er sog die Salzluft tief ein. 

Plötzlich schüttelte ihn ein Hustenanfall, der nicht gut klang. 

Kein Andenken ist so grässlich, wie dieses!, dachte er verbittert. 

Allmählich legte sich der Husten. Kjell beugte sich nieder - zog 

die drückenden Schuhe von den Füßen. Er knotete die Schnür- 

senkel zusammen und warf sich die Botten über die Schulter. 

Da war es! Das erste, zaghafte Lächeln tanzte in seinem Ge-

sicht...So hat er es schon als Bengel gemacht: Schnürsenkel ge-

bunden und die Kloben huckepack. 

Er bückte sich wieder; diesmal nach einem flachen Stein, den 

er viermal über die rauschenden Wellen hüpfen ließ. 

Für’n ollen Klapperkasten nicht schlecht, flappste er schon viel 

zufriedener. Zwar sind seine Steine damals sieben, acht Mal 

über‘s Wasser gepitscht, aber was soll’s. Für’n neuen Anfang 

ist viermal garnicht so übel.

Für’n Anfang, wiederholte er. 

 

2. 

Ihm wurde warm. Sein ganzer Leib wurde von dieser wohligen 

Wärme durchströmt. Seine Augen tränten - vielleicht vom auf- 

frischenden Wind, vielleicht auch vor Rührung. 

Und dann sah er ihn - den riesigen Stein am Ufer!...Auf jenem 

Brocken saß er als Junge oft stundenlang, um jede Laune des 

Meeres zu belauschen. Der Stein stand noch genau an dersel- 

ben Stelle, wie vor vierzig Jahren! Kein Sturm und keine Macht 

konnten ihn von hier verdrängen! 

 

Kjell kniff die Augen. Tatsächlich, das war sein Aussichtsstein! 

Wie ein rundgeschliffener Berg ragte er aus dem Wasser. An sei- 

nen buntschillernden Flanken tummelten sich unzählige Mu- 

scheln, grüner Schlamm und schwarze Schwärme aus Fliegen. 

Das leise Surren wirkte wie Medizin. Ein Albatross segelte he- 

ran, um auf der Krone des Steins auszuruhen. 

Kjell stolperte vorwärts - ins Wasser - auf den Brocken zu. 

Genau in dem Moment sank die Sonne ins Meer. Der Albatross 

schwang sich in den auffrischenden Wind und zog weisse Kreise 

über dem Stein, an dem Kjell mehrmals unter größter Kraftan- 

strengung hochkroch. 

Sein fünfter Versuch gelang endlich. Schwitzend; heftig schnau- 

bend saß er da und schleuderte sein befreites Lachen in den 

Abend. Als auch sein heftig trommelndes Herz zur Ruhe kam, 

sprach er bewegt und unermüdlich mit zittrigen Fingern den 

Stein betastend: Erzähl’ mir was, alter Freund...Wir haben uns 

so lange nicht gesehn...

Und dann erzählte Kjell ihm was war und was sein wird. Wäh-

rend er von seinem Leben sprach, lachte er hin - und wieder. 

Aber er weinte auch viele Tränen. 

 

Die Nacht brach an. Ihm wurde kalt. Doch er blieb. 

Ein Gewitter schlich sich an und schlug in Sekundenschnelle 

über der See zusammen. Der prasselnde Regen, danach, fiel 

warm und dampfend ins stille Land. 

Kjell hob das Gesicht und fing den Regen in seinen Augen. Sei-

ne Hände wischten über den Stein, unter sich - so als würden 

sie einem Kameraden Haarsträhnen aus der Stirn streichen. 

Der Wind lebte auf und fauchte. Doch die Worte sind da. Klar 

und deutlich: Jetzt bin ich zu Hause, mein Freund. Jetzt bin 

ich zu Hause... 

 

 

Geschichte & Foto: (c) Ralph Bruse

 Schön, daß du hier warst. Bis bald mal wieder!

 Ein kleiner Eintrag ins Gästebuch würde uns freuen.

     Christine

       Ralph

       Heike

 Bild: pinterest

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